Online-Andacht von Georg Freuling, 9. Mai 2021

 

Ich begrüße Sie zur online-Andacht.

Heute nicht aus der Kirche,

sondern aus meinem Arbeitszimmer.

Dafür gibt es einen guten Grund:

 

An diesem Wochenende ist Sonntag Rogate.

Rogate – das ist eine Aufforderung:

Betet!

 

Und Beten – das geht überall.

Dafür brauchst Du nicht unbedingt in die Kirche.

Bob Dylan, der bekannte amerikanische Sänger und Folkpoet,

hat einmal sinngemäß gesagt:

Beten ist immer und überall möglich -

unterwegs, beim Einkaufen und am Busbahnhof.

 

Deshalb bleibe heute im Arbeitszimmer,

in meinem „Kämmerlein.“

Dafür habe ich einen Grund;

das wird gleich noch deutlich.

 

Doch - beginnen wir im Namen Gottes.

Den dürfen wir Vater nennen.

Ganz vertraut.

Er, Jesus Christus, lehrt uns das Beten.

Sein Geist gibt uns Worte

und bringt auch unsere Bitten und Fragen vor Gott,

die Worte nicht mehr fassen.

 

Ich lese aus dem Matthäusevangelium im 6. Kapitel, die Verse 5 und 6.

Da sagt Jesus:

 

Wenn ihr betet,

macht es nicht wie die Scheinheiligen:

Sie stellen sich zum Beten gerne in den Synagogen und an den Straßenecken auf – damit die Leute sie sehen können.

Amen, das sage ich euch:

Sie haben damit ihren Lohn schon bekommen.

 

Wenn du betest,

geh in dein Zimmer

und verriegel die Tür.

Bete zu deinem Vater,

der im Verborgenen ist.

Und dein Vater,

der auch das Verborgene sieht,

wird dich dafür belohnen.

 

Lied: In der Stille angekommen (Str. 1)

 

Würden Sie im Restaurant laut und für andere Gäste hörbar ein Tischgebet sprechen?

 

Zur Zeit nicht, das ist klar.

Aber vor der Pandemie.

Oder, wenn sie vorbei ist -

dann hätten wir doch allen Grund zu danken,

wenn wir wieder im Restaurant sind.

 

Ich vermute:

Die meisten von uns würden es nicht tun -

auch wenn sie zuhause regelmäßig vor dem Essen beten.

Vielleicht machen es einige wie ich:

Ich bete still für mich,

halte kurz inne,

bevor ich esse.

 

Das hat einen Grund:

Die meisten möchten ihren Glauben nicht öffentlich zur Schau stellen.

Vielleicht finden manche das peinlich,

vielleicht denken manche auch,

dass sich das einfach nicht gehört.

 

Damit zählen wir schon mal nicht zu den Scheinheiligen,

von denen Jesus hier spricht.

Gott sei Dank!

 

Aber langsam.

Worum geht es hier eigentlich?

 

Das Problem ist nicht,

dass da Menschen in einer Synagoge beten.

Oder in einer Kirche oder Moschee.

 

Das Problem ist auch nicht,

dass die draußen auf der Straße beten.

Das Gebet an der Straßenecke erklärt sich so:

Diese Menschen hatten feste Gebetszeiten;

in anderen Kirchen und Religionen ist das bis heute so.

Wer sich daran halten will,

dem kann es passieren,

dass er gerade unterwegs ist,

wenn das Gebet dran ist.

Und manche haben das wohl kurz auf der Straße getan -

vielleicht auch ganz unaufdringlich,

an irgendeiner Ecke.

 

Beides für sich genommen kritisiert Jesus nicht;

ihm geht es um etwas anderes:

Er nimmt Anstoß daran,

wenn gebetet wird,

damit andere das sehen -

frommes Schaulaufen, könnte man sagen.

Sehen – und gesehen werden.

 

Dann geht es gar nicht mehr um das Gebet selbst,

dann ist das sogar gar kein Gebet mehr:

Es richtet sich ja nicht mehr an Gott,

sondern an die Menschen,

die es sehen und gut finden sollen.

 

Wer so betet

und dann die gewünschte Aufmerksamkeit bekommt,

der soll darüber hinaus nichts mehr erwarten,

sagt Jesus:

Der hat ja schon das,

worauf es ihm ankommt.

 

Lied: In der Stille angekommen (Str. 2)

 

Ein Freund von mir ist Pfarrer in der evangelischen Kirche in Italien,

bei den Waldensern.

Vor einem Jahr habe ich mir Sorgen gemacht.

Ich habe ihm eine Email geschrieben und gefragt,

wie es ihm und seiner Familie geht.

 

Italien war im ersten lockdown.

Er blieb in seiner Gemeinde,

wo er ein Zimmer hat.

Nach Hause zu seiner Familie konnte er nicht,

weil die in einem anderen Ort lebt,

wo seine Frau arbeitet.

Gottesdienste, Besuche, Veranstaltungen waren verboten.

Er hat mir geschrieben,

dass er statt der Besuche viel telefoniert.

Und betet.

Für sich allein.

 

Daran musste ich denken:

Rogate – betet!

Das geht immer.

Das können wir auch im Lockdown.

Wir können es für uns, im Stillen tun.

Das geht auch ohne Gottesdienst in der Kirche,

auch wenn der uns fehlt.

 

Das ist kein Mangel, sondern das Gebet,

von dem Jesus hier spricht:

Geh in dein Zimmer,

schließ die Tür hinter dir

und sprich mit Gott,

der hört und sieht,

was da im Verborgenen geschieht.

 

Wir reden in den letzten Monaten oft darüber,

was gerade nicht geht.

Wir klagen über das,

was uns fehlt.

Wir tun das auch in unserer Kirche.

 

Dieser Sonntag setzt etwas dagegen:

Betet!

Das geht immer.

Auch und gerade jetzt.

 

Und das ist keine Verlegenheitslösung!

Was da im Verborgenen,

für andere unsichtbar geschieht,

das trägt deinen Glauben.

Das trägt sogar unsere Kirche.

Denn unser Gott, der handelt im Verborgenen.

 

Das ist keine Verlegenheitslösung!

Ganz im Gegenteil,

das war schon immer so.

Jesus, so wird es erzählt, hat zum Beten die Einsamkeit gesucht.

Die ersten Christ*innen haben sich im Stillen getroffen,

lebten ihren Glauben nicht öffentlichkeitswirksam,

sondern zurückgezogen.

Und zu unserer Kirche, zum Protestantismus gehören die Zeiten,

in denen man als Minderheit besser nicht allzu sehr sichtbar wurde.

So war es nicht nur bei der verfolgten Waldenser-Kirche in Italien,

in der mein Freund arbeitet,

sondern auch bei uns am Niederrhein.

In einigen Orten kann man es noch erkennen:

Da stehen die evangelischen Kirchen bescheiden eingereiht in einer Häuserzeile

oder sogar einige Meter von der Straße zurückgesetzt im Hinterhof.

 

Aber können wir das noch – heute?

 

Unseren Glauben im Verborgenen leben?

 

Aushalten,

dass er zur Zeit nicht sichtbar wird?

 

Abwarten,

dass Gott an uns handelt?

Vielleicht ganz anders,

als wir es erwarten und sehen möchten?

 

Ich habe den Eindruck:

Das widerspricht unseren Gewohnheiten.

Das widerspricht unserem gewohnten, lauten Alltag,

den wir uns zurückwünschen.

 

Und genau das ist der Grund,

warum es dran ist,

finde ich: Betet!

 

Lied: In der Stille angekommen (Str. 3+4)

 

Ich lade Sie ein,

in der Stille anzukommen.

Ich lade Euch ein,

Eure Gedanken, Bitten und Fragen vor Gott zu bringen.

 

Gott,

wir denken an die vergangene Woche.

Wir denken an das,

was uns beschäftigt hat.

Manches ist gut gegangen;

dafür danken wir dir.

Manches ist unbewältigt oder hat weh getan;

auch das bringen wir vor dich.

 

Wir denken an die Menschen,

mit denen wir leben.

Wir denken an die,

die uns besonders nahe,

in den letzten Wochen manchmal zu nahe sind.

Wir denken auch an unsere fernen Nächsten,

die wir nur manchmal in den Nachrichten sehen,

deren Not uns aber dennoch nicht kalt lässt.

 

Nun liegt eine neue Woche vor uns -

mit den Aufgaben, die auf uns warten.

Auf manches freuen wir uns,

anderes kommt uns eher wie eine Last vor.

Beides bringen wir vor dich

und möchten offen bleiben für alles,

was noch im Verborgenen liegt.

 

Und mit den Worten Jesu beten wir:

Vater unser...