Hier bin ich

Jesaja 58, 1-9

 

Der Prophet Jesaja hat mal wieder eine schwere Aufgabe. Gott hat ihm aufgetragen, dem Volk Israel ordentlich die Leviten zu lesen. Das ist er gewohnt. Aber diesmal fühlt er sich gar nicht wohl in seiner Haut. Denn diejenigen, die sich sein prophetisches Donnerwetter anhören sollen, sind genau jene, die in religiöser Hinsicht eigentlich alles richtig machen.


Fromme Leute, die die kultischen Regeln einhalten. Sie bringen die vorgeschriebenen Opfer dar und fasten an den dafür vorgesehenen Tagen. Es geht um die Menschen, die sich das Leben nicht leicht machen, sondern danach streben die Regeln Gottes einzuhalten.  Sie gehören zu jenen, für die Jesaja eine gewisse Wertschätzung empfindet.

Aber genau denen soll der Prophet im wahrsten Sinne des Wortes den Marsch blasen.

Denn Gott sagt zu ihm:

Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und begehren meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. (Jes 58 1-2)

 

Schon dieser Auftrag lässt erahnen: Es sind Leute, die eigentlich alles richtig machen wollen, und dann doch irgendwie was falsch machen.

Aber was?

Es steht doch außer Zweifel, dass sie die Regeln peinlich genau einhalten. Und beim Fasten sind sie besonders streng.

 

Ich stelle mir vor, Jesaja befindet sich auf dem Weg zum Marktplatz, wo er seine Predigt halten will.

Schon jetzt weiß er ganz genau, was ihm seine Zuhörer entgegenhalten werden:

Was willst du denn, Jesaja? Wir machen doch alles richtig. Wenn wir fasten, dann rühren wir keinen Krumen an. Da sind wir nicht nur hundertprozentig, da sind wir zweihundertprozentig!

Das soll uns erst einer nachmachen!

Was also will uns Gott vorwerfen?

Schau dir lieber die andern an, wie fahrlässig sie mit Gottes Geboten umgehen! Zu denen solltest du gehen.

Trotz des zu erwartenden Gegenwinds ergreift Jesaja das Wort und verkündet Israel Gottes Botschaft:

Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.

Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

 

Sie haben alles richtig gemacht - und doch etwas falsch.

Richtig gefastet, aber falsch gelebt!

 

Gottes Botschaft ist klar:

Es ist zwar schön, wenn ihr mit vollem Ernst fastet, aber wenn euer tägliches Leben damit nicht im Einklang steht, dann hat das alles keinen Wert.

Ihr sehnt euch nach Gottes Nähe.

Ihr wollt, dass er eure Rufe hört.

Aber Gottes Nähe lässt sich nicht mit Fasten und Beten herbeizwingen. Und erst recht nicht, wenn sie begleitet werden durch Arbeiten am Feiertag, durch Unterdrückung, Gewalt, Zank und Streit.

Da macht Gott nicht mit.

 

Doch für alle, denen es ernst ist, die Gott herbeisehnen und von ihm gehört werden wollen, zeigt er einen anderen Weg auf.

Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe:

[…] Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn […]!


Klare Worte.

Irgendwie kommen sie mir bekannt vor. Hat Jesus nicht etwas ähnliches gesagt?

Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. […] Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Mt 25)

 

Also dem brauche ich nichts mehr hinzuzufügen - oder?

 

Ich denke jede und jeder von uns weiß: Ganz so einfach ist es nicht.

Alles was Jesaja und auch Jesus da nennen, wünschen wir uns doch auch,

dass Unterdrückung ein Ende findet,

dass Hunger und Elend aus der Welt verschwinden.

 

Die Botschaft an uns ist einfach und klar, aber verdammt schwer umzusetzen.

 

Es ist schwer in dieser immer komplizierter werdenden Welt, die Dinge und auch uns selbst zu durchschauen. Und es fällt uns nicht immer leicht, die richtige Entscheidung in alledem zu treffen.

 

Darum sind Jesajas Worte auch heute noch so wichtig.

Denn sie fordern einen jeden von uns auf, uns nicht in Sicherheit zu wiegen, sondern unser Tun und Handeln immer wieder zu überprüfen und zu hinterfragen.

 

Dabei geht es weniger um die Fragen:

     Was kann ich noch alles machen? oder:

     Mache ich genug?

Als vielmehr um die Frage:

     Ist das, was ich mache, das Richtige?

 

Israel glaubte, mit dem Fasten das Richtige zu tun, und verlor dabei eine wichtige Facette des Lebens aus den Augen.

 

Mache ich das Richtige?

Es tut gut, mit dieser Frage nicht alleine zu sein. Sie ist uns allen gestellt. Wir müssen uns alle mit ihr immer wieder auseinandersetzen.

Aber allen, die sich auf diese Frage einlassen und gemeinsam Antworten suchen, verheißt Gott:

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen:

Siehe, hier bin ich.

Amen