In der Fremde

Auch in den nächsten Wochen werden wir uns noch raum- und zeitversetzt begegnen: entweder auf unserem you-tube-Kanal oder hier lesend. Wenn ich spreche, seid Ihr noch nicht da, wenn Ihr mich hört oder meine Gedanken lest, bin ich vermutlich gerade mit anderem beschäftigt. Trotzdem begegnen wir uns, weil Gott uns gleichermaßen ruft. Genau genommen ist das schon ein kleines Wunder.

 

Wir feiern diese Andacht im Namen Gottes:

er ist ein Gott der Vielfalt,

im Namen von Jesus Christus:

denn unser Gott hat ein menschliches Gesicht,

und im Namen des Heiligen Geistes, der unsere Vielfalt zur Einheit verbindet.

 

Die biblische Geschichte, die uns heute zum gemeinsamen Nachdenken vorgeschlagen wird, ist eine Geschichte von zwei mutigen und liebevollen Frauen. Eine Einheimische und eine Ausländerin, jeweils in wechselnden Rollen. Sie geraten in Not und fliehen in der Hoffnung auf ein besseres, ein gutes Leben. Sie wenden verschiedene gefährliche Situationen durch ihre Freundschaft, ihr Vertrauen in Gott und eine ganze Portion Risikobereitschaft zum Besten.

Eine junge Witwe, als Ausländerin im Land Juda wird zur Urahnin Davids und damit zur Urahnin von Jesus. Schon hier beginnt also die Geschichte von Jesus als einem Vielvölker-Menschen.

Das überaus Interessante an dieser Beziehung ist, dass sie nicht entlang üblicher Linien läuft: keine Blutsverwandschaft, aus unterschiedlichem Volk und Religion, kein erotisches Interesse.

Im Gegenteil: eine Beziehung, die nach unserem Alltagsverständnis eher für schwierig und konflikthaft gehalten wird: das Verhältnis zur Schwiegermutter.

 

Ich lese aus dem Buch Rut, 1, 1-9

1 Zu der Zeit, als die Richter richteten, entstand eine Hungersnot im Lande. Und ein Mann von Bethlehem in Juda zog aus ins Land der Moabiter, um dort als Fremdling zu wohnen, mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. 2 Der hieß Elimelech und seine Frau Noomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon; die waren Efratiter aus Bethlehem in Juda. Und als sie ins Land der Moabiter gekommen waren, blieben sie dort. 3 Und Elimelech, Noomis Mann, starb, und sie blieb übrig mit ihren beiden Söhnen. 4 Die nahmen sich moabitische Frauen; die eine hieß Orpa, die andere Rut. Und als sie ungefähr zehn Jahre dort gewohnt hatten, 5 starben auch die beiden, Machlon und Kiljon. Und die Frau blieb zurück ohne ihre beiden Söhne und ohne ihren Mann.

6 Da machte sie sich auf mit ihren beiden Schwiegertöchtern und zog aus dem Land der Moabiter wieder zurück; denn sie hatte erfahren im Moabiterland, dass der HERR sich seines Volkes angenommen und ihnen Brot gegeben hatte. 7 Und sie ging aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr. Und als sie unterwegs waren, um ins Land Juda zurückzukehren, 8 sprach sie zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! Der HERR tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. 9 Der HERR gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in ihres Mannes Hause! Und sie küsste sie. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten 10 und sprachen zu ihr: Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen. 11 Aber Noomi sprach: Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Wie kann ich noch einmal Kinder in meinem Schoße haben, die eure Männer werden könnten? 12 Kehrt um, meine Töchter, und geht hin; denn ich bin nun zu alt, um wieder einem Mann zu gehören. Und wenn ich dächte: Ich habe noch Hoffnung!, und diese Nacht einem Mann gehörte und Söhne gebären würde, 13 wolltet ihr warten, bis sie groß würden? Wolltet ihr euch einschließen und keinem Mann gehören? Nicht doch, meine Töchter! Mein Los ist zu bitter für euch, denn des HERRN Hand hat mich getroffen. 14 Da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter, Rut aber ließ nicht von ihr. 15 Sie aber sprach: Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott; kehre auch du um, deiner Schwägerin nach.

16 Rut antwortete: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. 17 Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. 18 Als sie nun sah, dass sie festen Sinnes war, mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden. 19 So gingen die beiden miteinander, bis sie nach Bethlehem kamen. Und als sie nach Bethlehem hineinkamen, erregte sich die ganze Stadt über sie, und die Frauen sprachen: Ist das die Noomi?

 

Als erstes hoffe ich, dass der Text Euch neugierig gemacht hat: Was geschieht weiter? Wie wird es den beiden Frauen in Bethlehem ergehen? Geht es gut aus? Wenn ja, in welcher Weise? Lest die Geschichte weiter, sie ist spannend, ein bißchen pikant und lädt ein, sich in verschiedene Situationen hinein zu versetzen ...

Was mich am ersten Teil der Geschichte beschäftigt hat: wie kam es zu dieser besonderen Beziehung? Rut hat soviel Zuneigung zu Noomi entwickelt, dass sie ihre gesamte Sicherheit, ihre Familie, ihre Sprache, ihr Land verlässt und mit Noomi zurück in deren Heimat geht und auch die Religion der Schwiegermutter annehmen will.

Für mich ist fast zwingend: Noomi ist auf die Schwiegertochter in einer Weise zugegangen, die das gefördert, die das ermöglicht hat. Sie hat also ihren Sohn so großzügig geliebt, dass sie keine Sorge hatte, ihn an seine Frau zu verlieren.

Denn die klassische Schwiegermutterproblematik ist ja: dass die Ältere ihren Sohn nicht so recht loslassen kann und dadurch einen Konflikt heraufbeschört.

Noomi hat offensichtlich anders geliebt.

 

Wir können durch die Brille dieser Geschichte auf uns und unsere Beziehungen schauen: Lieben wir in dieser Art und Weise? Grosszügig? Uneigennützig?

Ich stelle immer wieder fest, wie schwer das ist. In manchen Beziehungen hilft uns die Natur, außerdem machen manche Menschen es einem leicht, andere schwerer …

Wenn wir uns als Gotteskinder erleben – und ich glaube, Noomi hat das getan – dann können wir so lieben. Wenn Gott der Ursprung, aber auch der Fluchtpunkt all unserer Bewegungen und Begegnungen ist, dann sind wir dazu imstande.

„Fluchtpunkt“ ist ja der Punkt außerhalb des Bildes, auf den alles zuläuft, der dem Bild seine Tiefe und Lebendigkeit gibt.

So verstehe ich ein Leben, das auf Gott ausgerichtet ist.

 

Lied eG 293, 1

 

Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all, lobt Gott von Herzensgrunde,

preist ihn, ihr Völker allzumal, dankt ihm zu aller Stunde,

dass er euch auch erwählet hat

und mitgeteilet seine Gnad in Christus, seinem Sohne.

 

„Lobt Gott Ihr Heiden all, dass er euch auch erwählet hat.“ So habt Ihr es im Lied gehört.

Heiden, das sind: DIE ANDEREN, DIE FREMDEN

Wir haben durch diese Geschichte auf unsere persönlichen Beziehungen und unsere Liebesfähigkeit geschaut. Aber ich möchte den Blick noch weiter lenken; denn sie erzählt auch von Flüchtlingen und ihrer Integration.

Es ist zweimal vom Leben in der Fremde die Rede: Noomi kommt mit ihrem Mann und ihren Söhnen nach Moab, weil in Israel Hungersnot herrscht. Sie werden offensichtlich freundlich aufgenommen, denn die Söhne heiraten Moabiterinnen. Moabit ist eigentlich feindliches Ausland. Jahre später reisen Noomi und Rut zurück nach Juda; in Bethlehem ist Rut eine Ausländerin und Noomi eine Witwe, beides ein unsicherer, wir sagen: ein prekärer Status. Heute bestenfalls: Duldung.

 

Ich höre aus unserer Geschichte aktuelle, brisante Fragen: Haben wir Angst vor Fremden oder erleben wir sie als Bereicherung? Sind sie in grundsätzlicher Weise ANDERS als wir oder: in wesentlichen Belangen uns ähnlich? Die hebräische Bibel sagt an verschiedenen Stellen: behandle den Fremden, überhaupt deinen Nächsten fair, DENN ER IST WIE DU!

Können wir uns UND die Fremden als Teile einer größeren Gemeinschaft erleben?

 

Gebet:

Barmherziger Gott: Du bist ein Gott der Vielfalt
aber wir haben Angst vor dem Anderen.

Du bist der Gott der Grenzen überschreitet
aber wir haben Angst uns zu verlieren.

Du bist der Gott, der zuhört und sich erbarmt,
wir schalten auf Durchzug -
oder Bild und Ton gleich ganz aus,

Herr erbarme dich - Amen!
Geht im Frieden in die nächste Woche,
seid behütet und gesegnet
und begegnet einander als Gottes Kinder!

 

Ich bin Uta Rode , nächste Woche spricht

Pfr. Achim Rohländer zum Thema „Weiter Glauben“. Es scheint, als wenn es das Problem der Glaubensmüdigkeit auch schon zu biblischen Zeiten gegeben hätte.