Ich bin so frei!“ (online-Andacht zum 31.10.2020)

 

„Ich bin es so leid. Dieser Mundschutz! Ich möchte endlich mal wieder frei durchatmen!“

„Immer nur die eigenen vier Wände. Ich komme mir vor wie ein Gefangener!“

„Ich möchte mal wieder unter Leute, möchte Freunde und Verwandte treffen – ohne die Sorge, dass jemand sich dabei ansteckt. Ich möchte anderen wieder unbefangen und frei begegnen.“

 

Das habe ich in den letzten Monaten oft gehört und selbst gedacht. Corona schränkt unser Leben weiterhin ein. Im Sommer konnten wir kurz durchatmen, jetzt heißt es wieder durchhalten: weniger Kontakte, mehr Disziplin. Und viele erleben das als Verlust von Freiheit.

Freiheit. Das ist ein großes Wort und passt gut zum Reformationstag. Freiheit ist eines der Schlüsselworte der Reformation. Martin Luther hatte seinen Namen entsprechend geändert. Ursprünglich hieß er Luder – mit d. Dann nannte und schrieb er sich Luther – mit th. So sollte das griechische Wort eleutheros in seinem Namen anklingen - das bedeutet „der Freie.“

Und 1520 – also genau vor 500 Jahren – hat Luther ein kleines Buch geschrieben. Eine seiner Hauptschriften. „Von der Freiheit eines Christenmenschen.“

Daran musste ich in den letzten Tagen denken. Denn Luther schreibt dort: Es sind nicht die „äußerlichen Dinge“, die den Menschen frei oder unfrei machen. Freiheit kommt von innen, sie hat ihren Grund in Jesus Christus, wenn es um die Freiheit eines Christenmenschen geht.

Das liegt daran, dass Gott nicht auf unsere Defizite sieht. Für ihn zählt nicht, was uns Menschen einschränkt, wo wir hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben, womit wir unser Leben selbst belasten. Für ihn zählt allein seine Gnade, die er uns in Jesus Christus schenkt.

Wer das glaubt, findet dadurch seine innere Mitte. Der kann auch in den Einschränkungen des Leben frei durchatmen. Daran kann kein Mundschutz und keine Kontaktbeschränkung etwas ändern: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan.“ So schreibt es Martin Luther.

„Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.“ So dichtet Hanns Dieter Hüsch. Und vor drei Jahren haben wir es gesungen, 2017 in der vollbesetzten Versöhnungskirche.

Lied: Ich bin vergnügt, erlöst, befreit

 

Ein Christenmensch ist ein freier Herr und niemanden untertan.“ Dazu gehört ein zweiter Satz. Der wird gerne schon mal vergessen; ich vermute, weil er etwas unbequem ist: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“

Bei Luther stehen die beiden Sätze nebeneinander. Für ihn ist das kein Widerspruch. Beides gehört zusammen wie die beiden Seiten einer Münze: Wer bei seinem Gott alles findet, was er braucht, der gibt in dieser Welt, was er kann. Wer durch Gottes Gnade frei ist, der gibt sich ganz dieser Welt hin. So wird der Christenmensch „ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“

 

Ich vermute: Die meisten stellen sich Freiheit heute anders vor. Aber was bedeutet sie dann? Ich weiß zwar nicht, was ich will, aber Hauptsache, ich kriege es? Oder: Freiheit – das sind die 1000 Möglichkeiten, die ich eh nicht nutze?

Freiheit ist immer eine Freiheit zu etwas. Daran erinnert mich Luther. Freiheit fordert meine Entscheidung ebenso wie meine Verantwortung. Ich habe sie nur, indem ich mich festlege und so das Leben gestalte - nicht nur für mich, sondern auch für andere.

Und wenn es in den nächsten Wochen sein muss, dann kann es auch das Stückchen Stoff sein, das mir an der Nase juckt, aber andere schützt. Es kann der Verzicht auf einen Besuch und dafür der Griff zum Telefon sein. Unfrei werden wir dadurch nicht. - Auf keinen Fall, wenn wir als Christenmenschen die Freiheit in Anspruch nehmen, die Gott uns schon geschenkt hat. Und vielleicht hilft uns das Ganze sogar, um mal zu klären, was wir wirklich meinen, wenn wir Freiheit sagen.

 

Am nächsten Wochenende geht es um ein anderes großes Wort: Hoffnung. Dazu wird Achim Rohländer dann hier etwas sagen.

Und bis dahin wünsche ich Ihnen und Euch eine gute neue Woche.

Bleibt gesund und gesegnet.

Georg Freuling